Freie Fahrt für Karl Raimund Popper:
Der große Philosoph Karl Raimund Popper formulierte u.a.:
„Man kann nicht so sprechen, dass man nicht missverstanden werden kann.“
Man kann aber dem Missverständnis jeden erdenklichen Raum bieten und damit von Anfang an alle Voraussetzungen für heftige Streitigkeiten schaffen.
Die meisten Streitigkeiten am Bau kommen nicht von Böswilligkeit her (natürlich gibt es Kunden, die nicht zahlen wollen oder nicht zahlen können, und natürlich gibt es Unternehmen, die es fast schon darauf anlegen, Pfusch zu liefern), sondern davon, dass die Parteien unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, was die jeweils andere tun und leisten soll.
Der einzige Gegenstand, welchen die Parteien im Vertrag regeln müssen und welchen sie dokumentieren sollten, ist die Beschreibung der vom Unternehmer zu erbringenden Leistung.
Sonst braucht es nichts für einen Werkvertrag.
Nicht einmal das, was der Unternehmer für seine Leistung bekommen soll, müssen die Parteien regeln wegen § 632 Abs. 1 BGB. Freilich sollten die Parteien das natürlich regeln, um auch hier Streitigkeiten zu vermeiden.
Die zu erbringende Leistung freilich, die muss geregelt werden, sonst haben wir überhaupt keinen Vertrag.
Nachdem Gegenstand eines Bauvertrages die Herstellung einer Sache ist, welche es noch gar nicht gibt, ist es schwierig, diese Sache im Vorhinein mit Worten und auch unter Zuhilfenahme von analogen oder digitalen Plandarstellungen übereinstimmend nach dem Willen der Parteien zu beschreiben, aber keinesfalls unmöglich.
Beide Parteien müssen sich darüber klar werden, welche Vorstellungen sie davon haben, was an Leistung wie erbracht werden soll und sich auf eine gemeinsame übereinstimmende dokumentierte Darstellung dieses Gegenstandes verständigen.
Das ist nicht immer so schwer und geschieht manchmal fast unbewusst, aber mitunter erfordert es doch einige gedankliche Anstrengung und eine Mühewaltung, welche sich die Beteiligten offenbar nicht immer antun wollen, so dass sie zu folgenden Mitteln Zuflucht nehmen:
Nach dem Motto „viel hilft viel“ wird eine Vielzahl von Unterlagen und auch Regelwerken in Bezug genommen
(Beispiel: „Der Inhalt der geschuldeten Leistung ergibt sich aus:
- Dem Angebot vom …
- Der Baubeschreibung vom …
- Der Vorbemerkung vom …
- Den Ausführungsplänen vom …
- Der Baugenehmigung vom …
Bei Widersprüchen zwischen diesen Unterlagen ist die obige Reihenfolge maßgeblich.“)
Diese Methode ist so alt wie schlecht.
Es ist sicher, dass zwischen diesen verschiedenen Unterlagen Widersprüche existieren, und ist es genauso sicher, dass das zur gegebenen Zeit zu Streit führen wird.
Die zweite Kardinaltechnik, mit der versucht wird, dass hier beschriebene Problem (scheinbar) zu lösen, besteht darin, dem jeweiligen Vertragspartner durch mehr oder weniger geschickt formulierte und mehr oder weniger umfangreiche Klauseln die Aufgabe aufzubürden, diese Unterlagen schon vor oder bei Vertragsschluss zu prüfen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit und Übereinstimmung.
Kurz zusammengefasst ist das die Technik, mit Bestimmungen, welche der Inhaltskontrolle unterliegen, der anderen Seite die Folgen eigener Sparsamkeit, eigenen Unvermögens oder eigener Fehler zu überlasten, und das muss regelmäßig scheitern.
Eine Variante dieses Vorgehens besteht darin, erkannte Risiken nicht im Vertrag anzusprechen, sondern darauf zu hoffen, dass die Folgen des Eintritts solcher Risiken mittels wiederum der Inhaltskontrolle unterliegender Vertragsbestimmungen quasi unter der Hand oder auch unter dem Aufmerksamkeitsradar dem Vertragspartner aufs Auge gedrückt werden können.
Wenn sich ein Umstand der realen Welt als anders herausstellt als es bei Vertragsschluss unterstellt wurde und wie er jedenfalls zumindest in der Leistungsbeschreibung zum Ausdruck gekommen ist, und deshalb zusätzlicher Aufwand, der explizit nicht in der vertraglichen Leistungsbeschreibung enthalten ist, anfällt, dann stellt sich nach Gerhard Polt immer die Frage:
Wer zahlt`s?
Und die Antwort lautet dann natürlich: Ich nicht! Der andere!
Abgesehen davon, dass für Verträge, welche ab dem 01.01.2018 abgeschlossen wurden, hier auf zahlreiche solcher Fälle anzuwendende spezifische Regelungen vorliegen mit den §§ 650b und c BGB, welche die Tendenz vorgeben, dass es erstens im Prinzip keinen Anspruch auf kostenlose Mehrleistungen gibt und zweitens die Folgen von Unklarheiten oder Fehlern in der Regel mit denen heimgehen, welche diese Unklarheiten und Fehler in die Welt bzw. die Vertragsbeziehung gesetzt haben, ist dieses Vermeiden der offenen Ansprache von Risiken und deren wirtschaftlicher Folgen auch ökonomisch verfehlt, denn es führt in zahlreichen Fällen dazu, dass nicht der richtige Preis ermittelt und angegeben wird.
Anders ausgedrückt: Hätte der Auftraggeber bei der Leistungsbeschreibung zum Ausdruck gebracht, dass ein Mehraufwand wegen Eintritts bekannter Risiken in Form von Nachträgen vergütet wird, dann hätte er möglicherweise ein günstigeres Angebot erhalten und müsste nicht am Schluss vielleicht etwas bezahlen, was er nicht bekommt und was er nie gebraucht hat.
In diesem Zusammenhang sprach Quack treffend davon, dass man erkannte Risiken „in Nachträge verräumen“ könne und ggf. auch solle.
Die Angst von Nachträgen sollte nicht die Vertragsgestaltung und darüber hinausgehend sogar noch die Planung und Gestaltung des Vertragsgegenstandes „vergiften“.
Und:
Wenn jemand das Bauen sich nicht (mehr) leisten kann, wenn ein für möglich gehaltenes, zum gegebenen Zeitpunkt aber noch nicht erforschtes oder ausschließbares Risiko eintritt, der muss eben dieses Vorhaben aufgeben oder eine Nummer kleiner gestalten, statt – wohl unbewusst aber trotzdem – zu versuchen, sich und/oder andere zu ruinieren.