Der Bundesgerichtshof befasst sich derzeit in dem Revisionsverfahren V ZR 225/20 einmal mehr mit den Rechten und Pflichten innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft: Was muss geschehen, wenn eine im Gemeinschaftseigentum stehende Immobilie aus Gründen des Brandschutzes ganz oder teilweise gar nicht mehr genutzt werden darf, aber saniert werden könnte, so dass eine bauordnungsrechtlich legale Nutzung wieder möglich wird? Wie ist die Rechtslage, wenn die prognostizierten Kosten der bautechnischen Sanierung und brandschutztechnischen Instandsetzung die Hälfte des Gebäudewerts übertreffen? Kann die Wohnungseigentümergemeinschaft sich in einem solchen Fall auf den Standpunkt stellen, dass es angesichts der hohen Sanierungskosten und des gleichfalls hohen Grundstückswerts wirtschaftlich doch viel sinnvoller sei, das Gebäude rückzubauen? Also: Abriss statt Sanierung und nachfolgend Verwertung des dann unbebauten Grundstücks? Die Pressestelle des BGH berichtet in ihrer Mitteilung Nr. 143/2021 von folgendem Sachverhalt und bisherigem Prozessverlauf (wir zitieren nachfolgend auszugsweise aus dieser Pressemitteilung): Im Gemeinschaftseigentum steht im vom BGH zu entscheidenden Fall ein mehr als 40 Jahre altes Parkhaus. Drei der insgesamt elf Ebenen dieses Parkhauses stehen im Sondereigentum der Klägerin. Sie vermietet ihre Einheit, also die Pkw-Stellplätze, an ein benachbartes Hotel. Die weiteren Flächen des Parkhauses jedoch sind wegen baulicher Mängel seit Jahren außer Betrieb. Damit ergeben sich stark unterschiedliche Interessenlagen: Aus Sicht der Klägerin soll das Parkhaus weiterhin nutzbar sein; dagegen sehen die übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft darin für sich keinerlei wirtschaftlichen Sinn. Die für das Bauordnungsrecht zuständige Behörde verlangte nun Nachweise für die Einhaltung der brandschutztechnischen Mindestanforderungen. Diese können nur eingehalten werden, wenn das Gemeinschaftseigentum mit hohem Kostenaufwand instandgesetzt wird. Daraufhin beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die zur Einheit der Klägerin gehörenden Ebenen nicht mehr genutzt werden dürfen; damit will die Mehrheit die Kosten einer Instandsetzung vermeiden. Der Klägerin als in der Minderheit befindlicher Sondereigentümerin wurde jedoch gestattet, die brandschutztechnischen Mängel selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen; erst nach Vorlage entsprechender Nachweise solle sie die Nutzung wieder aufnehmen dürfen. Die Mehrheit verteidigte den im Wege der Beschlussmängelklage angefochtenen Beschluss und argumentierte im Rechtsstreit im Wesentlichen mit § 22 Abs. 4 WEG aF (= § 22 WEG nF):
Ist das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört und ist der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt, so kann der Wiederaufbau nicht gemäß § 21 Abs. 3 beschlossen oder gemäß § 21 Abs. 4 verlangt werden.
Die Mehrheit der Wohnungseigentümer konnte sich hierbei auf folgendes Zahlenwerk berufen: Dem Verkehrswert des Gebäudes in saniertem Zustand von ca. 3,6 Mio. EURO stünden Sanierungskosten von ca. 4,9 Mio. EURO gegenüber.
Das Amtsgericht Augsburg (erste Instanz) wie auch das Landgericht München I (zweite Instanz) wiesen die Klage ab, der Mehrheitsbeschluss sei wirksam. § 22 WEG sei auch dann anwendbar, wenn der Zustand des Gebäudes auf einer mangelnden Instandhaltung beruhe; auf die Ursache der Baufälligkeit komme es nicht an. Aber: In der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2021 ließ der BGH erkennen, dass er diese Auffassung nicht für richtig hält. Nur Zerstörungen durch z. B. Brand oder Flut seien von § 22 WEG gemeint, nicht aber schleichender Verfall durch unterlassene Instandhaltung. Der BGH wird voraussichtlich am 15. Oktober 2021 eine Entscheidung verkünden.
UPDATE: Der Bundesgerichtshof hat hierzu am 15. Oktober 2021 entschieden; Inhalt: Ein dauerhaftes Nutzungsverbot durch Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer ist rechtswidrig. Wohnungseigentümer dürfen die Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums mit einem Mehrheitsbeschluss aus Gründen der Verkehrssicherheit in der Regel nicht dauerhaft verbieten, wenn auch das Sondereigentum infolge des Verbots nicht mehr genutzt werden kann.
In unserer Kanzlei gehört das Wohnungseigentumsrecht zu den ständig von uns bearbeiteten Rechtsgebieten. Wir vertreten Wohnungseigentümergemeinschaften und deren Hausverwaltungen ebenso wie einzelne Wohnungseigentümer. Unser Vorteil ist, dass wir auch im zivilen und öffentlichen Baurecht außergerichtlich wie gerichtlich tätig sind. Wir befassen uns ständig mit Bauverträgen, Baumängeln, Baugenehmigungsverfahren und anderen baubehördlichen Verfahren. Damit können wir unsere Mandanten fachlich übergreifend beraten und vertreten. An unseren Standorten in Wasserburg am Inn, Rosenheim und Ebersberg stehen wir Ihnen jederzeit für ein Beratungsgespräch zur Verfügung.