Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute die Sprungrevisionen (d.h. Übergehung der Berufungsinstanz, § 134 VwGO) der Länder Nordrhein-Westfalen (Az. 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (Az. 7 C 30.17) gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen.
Zwar lässt – entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte – das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote (gemeinhin auch als „Fahrverbot“ bezeichnet, obwohl dieser Begriff bußgeld- und strafrechtlich belegt ist, vgl. § 25 StVG und § 44 StGB) speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge nicht zu. Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO2-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. Deshalb kommen die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, nicht zur Anwendung, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.
Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch – wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen – sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.
Also: Europa und die Umwelt gehen vor. Was Nachrüstung und/oder Wertminderung angeht, hält das BVerwG „gewisse Verluste“ für hinnehmbar und hat keine finanzielle Ausgleichspflicht gefordert. Schon ist in den Medien von „kalter Enteignung“ die Rede. Das wird die Diskussion um Ansprüche gegen Händler und Hersteller eher noch befeuern.