Erkrankt ein Arbeitnehmer bereits während der Probezeit arbeitsunfähig, folgt oftmals die Kündigung. Meist gilt für eine Kündigung während der Probezeit eine recht kurze Kündigungsfrist von zwei Wochen. Da der Arbeitnehmer während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses noch keinen Kündigungsschutz nach dem KSchG genießt, kann er sich gegen die Kündigung in der Regel nicht erfolgreich wehren.
Fraglich ist aber, ob der Arbeitnehmer in diesem Fall vom Arbeitgeber trotzdem für die Dauer von sechs Wochen Entgeltfortzahlung verlangen kann – auch über den Kündigungstermin hinaus?
Grundsätzlich endet die Pflicht zur Entgeltfortzahlung für den Arbeitgeber mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Das gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“ kündigt.
Einen solchen Fall hatte jüngst das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden und hat die bisherige Rechtsprechung mit seinem Urteil vom 01.03.2018 (Az.: 10 Sa 1507/17) bestätigt:
„Wird eine Kündigung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für diesen Zusammenhang. Diesen Zusammenhang muss der Arbeitgeber nachvollziehbar widerlegen.“ (Leitsatz)
Der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien schlossen einen unbefristeten Arbeitsvertrag beginnend ab den 1.7.2016. Vereinbart war eine dreimonatige Probezeit bis zum 30.9.2016. Am 18.7.2016 erkrankte der Arbeitnehmer arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit wurde zunächst bis einschließlich 25.7.2016 bescheinigt. Am 26.7.2016 wurde eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 12.8.2016 festgestellt. Nach dem vom beklagten Arbeitgeber bestrittenen Vorbringen der Klagepartei hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber am 26.7.2016 hiervon telefonisch in Kenntnis gesetzt. Am selben Tag, also am 26.7.2016, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 10.8.2016.
Die Krankenkasse hat gegen den Arbeitgeber geklagt auf Erstattung des an den Arbeitnehmer gezahlten Krankengeldes aus übergegangenem Recht gem. § 115 Abs. 1 SBG X i. V. m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EFZG. Die Krankenkasse ging davon aus, dass die Kündigung aufgrund der fortgesetzten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgt sei.
Die Klage war – auch in der zweiten Instanz – erfolgreich.
Das LAG führt zur streitentscheidenden Frage, ob die Kündigung „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“ erfolgt ist, in seinen Entscheidungsgründen aus:
„Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat. Es muss die Arbeitsunfähigkeit nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur Anlass zum Ausspruch der Kündigung gewesen sein. Sie muss mithin den Kündigungsentschluss als solchen wesentlich beeinflusst haben.
Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist der Arbeitnehmer bzw. im Falle des Forderungsübergangs wie hier die klagende Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zugute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. (…)
Selbst wenn der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung noch nicht gewusst haben sollte, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers über den 25.7.2016 hinaus fortdauern würde, geht dieses zu Lasten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber hat nach dem Ende der zunächst bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit noch drei Tage abzuwarten, ob der Arbeitnehmer ihm die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit anzeigt (vgl. BAG, Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79). Macht er das nicht, kann er sich nicht darauf berufen, dass er keine Kenntnis von der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit hatte, sondern wird so behandelt als hätte er von der Fortdauer gewusst (vgl. BAG, Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79).(…)
Der Arbeitnehmer war bis zum 25.7.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Entweder wusste der Arbeitgeber, dass die Arbeitsunfähigkeit fortdauern würde, oder er wusste es nicht, hat dann aber in jedem Fall nicht die nach der Rechtsprechung des BAG erforderlichen drei Tage abgewartet, ob die Arbeitsunfähigkeit fortdauern würde. Deshalb spricht der Beweis des ersten Anscheins jedenfalls dafür, dass die Kündigung vom 26.7.2016 zumindest mitursächlich durch die Arbeitsunfähigkeit begründet war. (…)
Spricht somit für den Vortrag der Klägerin ein Anscheinsbeweis, muss der Beklagte zwar nicht das Gegenteil beweisen, er muss aber den Anscheinsbeweis entkräften. Nicht ausreichend ist allein ein Hinweis auf einen Geschehensablauf, nach dem das Ereignis (hier: die Kündigung vom 26. Juli 2016) eine andere Ursache haben kann.“
Im vorliegenden Fall ist es dem Arbeitgeber nicht gelungen, den Beweis des ersten Anscheins zu entkräften.
Arbeitgeber, die eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit erwägen, sollten diesen Entschluss nicht unnötig in die Länge ziehen. Jedenfalls aber sind Arbeitgeber gut beraten, diejenigen´, von der Arbeitsunfähigkeit unabhängigen Gründe, die für den Kündigungsentschluss ursächlich sind, nachweisbar zu dokumentieren.