Derzeit sind viele Betriebe von der Corona-Pandemie betroffen, weil der Arbeitgeber den Betrieb wegen staatlicher Maßnahmen, nämlich sog. Allgemeinverfügungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), vollständig oder teilweise – temporär – schließen muss. Oder aber der Betrieb könnte zwar rechtlich gesehen fortgeführt werden, weil nicht betroffen von solchen IfSG-Maßnahmen. Er kann aber wegen Auftragsmangels, fernbleibender Kunden und/oder eines gravierenden Personalengpasses betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll fortgeführt werden. Ursache für Personalengpässe kann die Erkrankung von Mitarbeitern sein. Oder aber Mitarbeiter müssen sich der Kinderbetreuung widmen, weil Kitas und Schulen geschlossen haben, so dass sie nicht zur Arbeit kommen können. Folge ist, dass auch die verbliebenen Mitarbeiter nicht sinnvoll eingesetzt werden können.
In solchen Fällen stellen sich Fragen: Wer trägt das Risiko dafür, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gar nicht mehr gebraucht wird, weil es an Aufträgen und Kunden fehlt oder aus sonstigen Gründen der Betrieb nicht mehr sinnvoll arbeiten kann? Kann der Arbeitgeber in solchen Fällen die Zahlung von Lohn oder Gehalt einstellen und verbliebene Arbeitnehmer einfach nach Hause schicken? Juristisch spricht man hier vom Annahmeverzugsrisiko: Der Arbeitgeber muss befürchten, noch immer Entgelt (Lohn oder Gehalt) zu zahlen, obwohl schon längst keine Arbeit mehr da ist. Was ist, wenn infolge weiterhin anfallender Personalkosten die Existenz des Betriebs gefährdet wird?
Für den Fall von Betriebsschließungen oder Nichtbeschäftigung wegen Auftragsmangels gilt grundsätzlich die sog. Betriebsrisikolehre. Danach muss der Arbeitgeber die Löhne und Gehälter auch bei von ihm unverschuldeten Betriebsstörungen, zu denen auch die behördlich angeordnete Schließung des Betriebes oder die eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeit wegen Auftragsmangels gehört, fortzahlen (§ 615 BGB). Unsere Rechtsordnung abstrahiert, gleichgelagerte Sachverhalte werden dem gleichen Rechtssatz unterworfen. Deshalb ist es juristisch zunächst einmal egal, ob nun im Betrieb der Strom ausfällt (Folge: Arbeitnehmer eines gastronomischen Betriebs können jedenfalls warme oder zu kühlende Speisen oder Getränke gar nicht mehr zubereiten oder servieren, jedenfalls abends könnte der Gast allenfalls bei Kerzenlicht essen und trinken), oder ob es wegen des Corona-Virus in einem gastronomischen Betrieb keine Gäste mehr gibt (Folge: Speisen und Getränke gibt es nach wie vor, aber ohne Gäste geht die Arbeitsleistung eines Kochs oder Kellners quasi ins Leere). Seit jeher werden dem Arbeitgeber solche Risiken auferlegt, der Arbeitgeber muss mit den wirtschaftlichen Folgen leben. Aber: Eine Ausnahme tritt dann ein, wenn es für das Unternehmen existenzbedrohend wird. Dann kann der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltzahlung (Lohn oder Gehalt) befreit sein. Die Anforderungen sind zwar sehr hoch. In der derzeitigen Ausnahmesituation ist aber denkbar, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Entgelt verlieren, wenn sie nicht mehr beschäftigt werden können. Zwar besteht hier keine Rechtssicherheit, aber in vielen Fällen werden Arbeitgeber handeln müssen, um die Personalkosten bei steil abfallenden Umsätzen rasch absenken zu können, also: um so das Unternehmen zu retten.
Empfehlung: Arbeitgeber sollten Löhne und Gehälter ab sofort „unter Vorbehalt der Rückforderung“ zahlen.
Nun zur Frage: Wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf die wegen der derzeitigen Pandemie fehlende Beschäftigungsmöglichkeit reagieren?
- Empfehlung: Suchen Sie nach einvernehmlichen Lösungen. Das gilt für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Für den Arbeitgeber: Prüfen Sie, ob und ggfs. welche Arbeitnehmer ihre Aufgaben aus dem Homeoffice weiter erledigen können. Versuchen Sie Vereinbarungen dahingehend zu treffen, dass Arbeitszeitguthaben, also Überstunden, abgebaut werden und Erholungsurlaub eingebracht wird.
In Betrieben mit Betriebsrat sind dessen Mitbestimmungsrechte zu beachten. Themen wie z. B. Betriebsurlaub oder Arbeitszeitreduzierungen sind in Betriebsvereinbarungen zu regeln. - Nicht immer wird es gelingen, sich auf einvernehmliche Lösungen zu einigen. Oder aber diese Lösungen sind „aufgebraucht“ – etwa, weil es keinerlei einzubringendes Arbeitszeitguthaben mehr gibt. Welche Maßnahmen können Sie als Arbeitgeber einseitig treffen, wenn einvernehmliche Lösungen scheitern oder nicht ausreichen?
- Ist die Anordnung von Betriebsurlaub zulässig?
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sofern nicht dringende betriebliche Gründe entgegenstehen. Dringende betriebliche Belange sind solche Umstände, die in der betrieblichen Organisation, im technischen Arbeitsablauf, der Auftragslage und ähnlichen Umständen ihren Grund haben (BAG, Beschluss vom 28.07.1981 – 1 ABR 79/79, NJW 1982, 959).
Demnach können Sie Betriebsurlaub einseitig kraft Weisungsrecht anordnen. In Betrieben mit Betriebsrat bedarf diese Maßnahme der Zustimmung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG).
Aber: Der Arbeitgeber darf nicht den kompletten Jahresurlaub als Betriebsurlaub anordnen und damit festlegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfen 3/5 des regulären Jahresurlaubs für Betriebsferien festgelegt werden, 2/5 müssen für die individuelle Urlaubsplanung der Arbeitnehmer verbleiben. - Soweit Arbeitszeitkonten bestehen, kann das vereinbarte Kontingent nicht nur zum Abbau von Plusstunden, sondern auch zum Aufbau von Minusstunden genutzt werden.
- Auch die Anordnung von Kurzarbeit kann geeignet sein, der eingeschränkten Beschäftigungsmöglichkeit Rechnung zu tragen und das damit einhergehende Annahmeverzugsrisiko für den Arbeitgeber zu minimieren.
Die Bundesagentur für Arbeit hat darauf hingewiesen, dass ein aufgrund oder infolge des Corona-Virus und/oder der damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz eingetretener Arbeitsausfall im Regelfall auf einem „unabwendbaren Ereignis“ oder auf „wirtschaftlichen Gründen“ im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III beruht und daher Kurzarbeitergeld bei vorübergehendem Arbeitsausfall zu gewähren ist.
Bei der Agentur für Arbeit kann hierfür Kurzarbeitergeld beantragt werden. Hierfür muss zunächst der Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit angezeigt werden. Der Antrag auf das Kurzarbeitergeld ist dann binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten zu stellen, beginnend mit Ablauf des Monats, für den Kurzarbeitergeld beantragt wird.
Noch nicht geklärt ist damit, ob Kurzarbeitergeld auch dann gewährt wird, wenn ein Arbeitgeber sich zur vorübergehenden Betriebsschließung, quasi als Vorsichtsmaßnahmen entschließt, ohne dass eine behördliche Anordnung vorliegt. Nehmen Sie in diesem Fall möglichst frühzeitig Kontakt mit der zuständigen Agentur für Arbeit auf, um die Bewilligung von Kurzarbeitergeld zu erörtern, bevor die Anzeige des erheblichen Arbeitsausfalls erfolgt.
Einzelheiten zum Thema Kurzarbeit finden Sie im Internet auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit unter https://www.arbeitsagentur.de/news/kurzarbeit-wegen-corona-virus
Arbeitsrechtlich ist zu prüfen, ob Kurzarbeit durch Tarifvertrag ermöglicht wird. In Betrieben mit Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung zuschließen. In nicht tarifgebundenen und betriebsratslosen Betrieben ist zu prüfen, ob die Anordnung von Kurzarbeit vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist. Falls dies nicht der Fall ist, besteht die Möglichkeit, individualvertraglich die Einführung von Kurzarbeit zu vereinbaren. Ist der Arbeitnehmer zur Unterzeichnung solch einer Vereinbarung nicht bereit, kommt ggf. der Ausspruch einer Änderungskündigung (s. hierzu tieferstehend) in Betracht. - Umgekehrter Fall der Knappheit an Arbeitskraft: Wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern aufgrund des Virus ausfällt, darf der Arbeitgeber die arbeitsfähigen Arbeitnehmer zu Mehrarbeit verpflichten.
- Unter welchen Voraussetzungen kommt eine „Corona-bedingte“ Kündigung in Betracht?
Zunächst ist festzuhalten, dass es keinen „Corona-bedingten“ Kündigungsgrund per se gibt. Denn, wie oben dargelegt: Das sog. Betriebsrisiko trägt der Arbeitgeber. Es gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze zum Kündigungsrecht:- Kleinstbetriebe; Mitarbeiter ohne Kündigungsschutz
In Betrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung. Unter Einhaltung der jeweils geltenden Kündigungsfrist kann der Arbeitgeber ohne Vorliegen eines Kündigungsgrundes kündigen.
Gleiches gilt in allen Betrieben für Arbeitnehmer, die noch keine sechs Monate im Betrieb beschäftigt sind. - In allen anderen Fällen bedarf es eines Kündigungsgrundes i. S. d. § 1 KSchG. Es kommen personenbedingte, verhaltensbedingte und betriebsbedingte Kündigungsgründe in Betracht. Im Fall des Corona-Virus dürfte der wohl wichtigste Grund der betriebsbedingte Kündigungsgrund sein.
In den meisten Fällen stellt sich deshalb die Frage nach der Zulässigkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Eine betriebsbedingte Kündigung setzt neben der Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl den Wegfall des Arbeitsplatzes aufgrund dringender, betrieblicher Erfordernisse voraus. Solche dringenden betrieblichen Erfordernisse könnten z. B. der Corona-bedingte Auftragsrückgang, die Störung von Lieferketten, behördliche Schließungsanordnungen usw. darstellen. Voraussetzung ist, dass hierdurch Arbeitsplätze nach entsprechender Zukunftsprognose auf Dauer wegfallen.
Weitere Voraussetzung der Kündigung ist deren Verhältnismäßigkeit. Es gilt der sog. ultima-ratio – Grundsatz. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses muss immer das letzte, mögliche Mittel sein. Mildere Mittel sind vorrangig zu prüfen.
Hierzu gehört auch, die Folgen der Corona-Krise mithilfe der seitens der Bundesregierung in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Entlastung der Unternehmer zu prüfen und ggfs. in Anspruch zu nehmen. Ebenso die bereits dargestellte Möglichkeit der Kurzarbeit.
Die sog. Änderungskündigung hat immer Vorrang vor der Beendigungskündigung. Eine Änderungskündigung ist eine Kündigung verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen.
Empfehlung: Prüfen Sie, ob für Ihren Betrieb eine Änderungskündigung mit dem Inhalt „Weniger Arbeitsstunden, nämlich von …. bis……., dafür weniger Geld“ in Betracht kommt.
Auch für die Änderungskündigung bedarf es eines Kündigungsgrundes; dieser muss anhand der betrieblichen Notwendigkeiten definiert werden.
Einzelne Arbeitnehmergruppen wie z. B. schwerbehinderte Arbeitnehmer, Schwangere, Arbeitnehmer in Elternzeit, Betriebsräte usw. genießen unabhängig hiervon einen besonderen Kündigungsschutz, der immer zu beachten ist. - Wann kommt eine außerordentliche, fristlose (Änderungs-)Kündigung in Betracht?
Eine außerordentliche Kündigung bedarf eines sog. „wichtigen Grundes“, aufgrund dessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber auch für die Dauer der Kündigungsfrist „an sich“ und „im konkreten Einzelfall“ unzumutbar ist.
Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung kommt grundsätzlich nicht in Betracht; bislang hat die Rechtsprechung Derartiges nahezu immer abgelehnt. Aber: Die aktuelle Situation, die für viele Betriebe existenzgefährdend ist, könnte jetzt eben doch einen solchen „wichtigen Grund“ i. S. d. § 626 BGB für eine betriebsbedingte Kündigung darstellen. Dabei muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob eine außerordentliche Kündigung auch im konkreten Einzelfall alternativlos ist und es kein milderes Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung gibt. Jedenfalls wenn klar ist, dass der Arbeitsplatz nur vorübergehend wegfällt, dürfte eine außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig sein.
In Betracht kommt in der derzeitigen Ausnahmesituation auch eine außerordentliche (fristlose) Änderungskündigung mit dem Ziel „Ab sofort für weniger Arbeit weniger Geld“.
In jedem Fall empfiehlt es sich, neben einer außerordentlichen Kündigung (sei es Beendigungskündigung, sei es Änderungskündigung) hilfsweise die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist auszusprechen.
Nochmals: Die hier in Betracht gezogenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen sind Notmaßnahmen – man könnte sagen: Maßnahmen im Corona-Modus. In der Situation einer Pandemie mit Folgen für den Infektionsschutz auch im Arbeitsleben gibt es kein Patentrezept, das vor Gericht sicher standhält. Mit anderen Worten: Das Corona-Virus SARS-CoV-2/Covid-19 hat die Welt auf unabsehbare Zeit gründlich verändert. Deshalb müssen auch arbeitsrechtlich besondere Maßnahmen geprüft werden.
- Kleinstbetriebe; Mitarbeiter ohne Kündigungsschutz
- Ist die Anordnung von Betriebsurlaub zulässig?
Sollten Sie Unterstützung bei der Frage benötigen, welche arbeitsrechtlichen Möglichkeiten Sie in Ihrem Betrieb zur Minimierung der durch die Corona-Krise bedingten Risiken umsetzen können, stehen wir Ihnen gerne für eine ausführliche Beratung zur Verfügung. Dasselbe gilt, wenn Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin Orientierung dazu brauchen, welche einseitigen Schritte des Arbeitgebers Sie hinnehmen müssen oder sollten. Vereinbaren Sie gerne einen Telefontermin per Email an s.helmdach@bsrm.de. Aus Gründen des Infektionsschutzes vermeiden wir derzeit persönliche Besprechungstermine.